Geschäft geht vor - Fischfanglizenz statt Demokratie
Readers-Edition - Es geht doch nur um Fisch, wird sich der deutsche Vertreter bei der EU-Kommision vielleicht gesagt haben, als das Fischereiabkommen zwischen Europäischer Union und Marokko jüngst verlängert wurde, das 36,1 Millionen Euro in die Kassen des Königreichs Marokko spülen wird.
Veröffentlicht 08. Juli 2011


Uli Gellermann
8 Juli 2011
Readers-Edition


Genau so gut hätten EU und Bundesrepublik auch Waffen nach liefern können, vielleicht ein paar prima Panzer, so wie nach Saudi Arabien. Denn mit dem beträchtlichen Gewinn aus dem Verkauf der Fischereilizenz kann das autoritäre marokkanische Regime seinen Streitkräften neue Waffen spendieren. Die werden gern auf zwei Kriegsschauplätzen eingesetzt: Bei der Unterdrückung der Demokratiebewegung im Inneren und im Kampf gegen die Autonomiebewegung der Sahrauis, deren Land die Marokkaner seit Jahren besetzt halten.

Wesentliche Teile der Fischgründe, die gerade an die EU verhökert wurden, liegen vor der Küste der Westsahara, einem Gebiet, dass Marokko zwar besetzt hält, dessen Annexion aber kein Land der Welt bisher anerkannt hat. Diesem Raub hat die Bundesrepublik mit der Bejahung des Fischereiabkommens zugestimmt. Besonders pikant ist diese Zustimmung, weil sich die deutsche Kanzlerin gern als DDR-Oppositionelle und Mauer-Überwinderin feiern lässt: Die 2700 Kilometer lange marokkanische Mauer, mit Landminen und Stacheldraht gesichert, trennt die besetzten Gebiete der Westsahara vom befreiten Territorium und ist natürlich ein Instrument militärischer Unterdrückung. Dass die “Mauer der Schande” zugleich die komplette Küste der Westsahara vom Sahrauischen Kernland absperrt, macht den illegalen Verkauf von Fischereigründen erst möglich.

Schon 1975 stellte eine UNO-Delegation in der Westsahara fest, dass die Bevölkerung die Unabhängigkeit wünsche und der “Frente Polisario” (der Befreiungsbewegung) breite Unterstützung zukommen lasse. Das störte die marokkanische Armee wenig: Sie versuchte das komplette Gebiet unter ihre Kontrolle zu bringen, scheiterte aber am bewaffneten Widerstand der Unabhängigkeitsbewegung und ließ sich 1991 unwillig auf einen Waffenstillstand ein. Seit dieser Zeit wartet die Bevölkerung der Westsahara und auch die UNO auf ein Referendum über die Autonomie des Landes. Der marokkanische König tut alles, um dieses Referendum hinauszuzögern und des aktuelle Abkommen mit der EU hilft ihm dabei.

Mohammed VI, das “Oberhaupt der Gläubigen” sitzt seit 1999 auf dem marokkanischen Thron

Spätestens seit seiner Hochzeit vor neun Jahren gilt er den deutschen Medien - vom BILD über die BUNTE bis zur ZEIT - als veritabler Märchenkönig: Ein Darling all jener, die auf ein angeblich aufgeklärtes Königtum setzen und denen ein gekröntes Privatvermögen von zwei Milliarden Euro in einem armen Land nicht unappetitlich erscheint. Natürlich kann der “aufgeklärte Monarch” jederzeit das Parlament auflösen, er bestimmt den Ministerpräsidenten und jeden einzelnen Minister. Dass er jetzt eine Verfassungsreform ankündigte, hat mit dem politischen Frühling im Maghreb und der Demokratiebewegung im eigenen Land zu tun. Zur Abstimmung über die Verfassungs-Kosmetik hatte die Bewegung zum Boykott aufgerufen.

Die Merkel-Regierung, die man erst zur Anerkennung der Opposition in Nordafrika zwingen musste, setzt ihren scheindemokratischen Kurs fort: Mit Panzern für das Unterdrückungsregime in Saudi Arabien und den gewinnträchtigen Fischgeschäften für den marokkanischen Unrechtsstaat. Dass immer noch mehr als 500 Sahrauis in marokkanischen Gefängnissen “verschwunden” sind, dass man von vielen seit mehr als dreißig Jahren nichts mehr gehört hat, dass Familienangehörige festgenommen und gefoltert werden, nur weil sie etwas über deren Schicksal in Erfahrung bringen wollen: Das interessiert eine deutsche Regierung nicht, die am Geschäft interessiert ist und kaum an der Demokratie.
Nachrichten

Sahrauische Fischbestände im Schleppnetz der „Helen Mary“

Foto: Pierre Gleizes / Greenpeace Polen, aufgenommen am 5. November 2014, unverändert

Im Juli 2019 trat das neue Fischereiabkommen der EU mit Marokko in Kraft, was entgegen der Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofes die Gewässer der Westsahara einschließt. Marokko verteilt in dem Abkommen Lizenzen zum Plündern der Fischbestände des von ihm besetzten Territoriums. Seit Ende August fischt nun das deutsche Fabrikschiff „Helen Mary“ vor der Küste der besetzten Westsahara.

19. Oktober 2019

Corell: EU Fischereiabkommen und Ölsuche sind unverantwortlich

Aufgrund jüngster Erklärungen des marokkanischen Königs zur Westsahara fordert der ehemalige UN-Unter-Generalsekretär für Rechtsfragen Hans Corell in einem Artikel die EU auf, ihr Fischereipartnerschaftsabkommen zu überarbeiten. Darüber hinaus betont er, dass die laufenden Öl-Erkundungen in völligem Widerspruch zu seinem Rechtsgutachten stehen, das er für den UN-Sicherheitsrat erstellt hat.
27. Februar 2015

Besetzte Sahara:EU untergräbt Menschenrechte am Tag der Menschenrechte

Heute entschied sich das Europäische Parlament für das EU-Fischereiabkommen mit Marokko und verschafft sich damit auch den Zugang zu den Hoheitsgewässern der Westsahara, einem Gebiet, von denen große Teile seit 1975 von Marokko besetzt werden. "Ein trauriger Tag für den internationalen Frieden und die Menschenrechte", meint WSRW. Dem Deal wurde am 1. Jahrestag der Verleihung des Nobelfriedenspreises an die EU und am Internationalen Tag der Menschenrechte zugestimmt.
10. Dezember 2013

Aminatu Haidar – Offener Brief an das EU-Parlament

“Ich wünsche mir eine freie Gesellschaft in der Westsahara. die in der Lage ist, selbst zu entscheiden, wie sie ihre natürlichen Ressourcen verwenden will. Der wirtschaftliche Nutzen soll meinem Volk zu Gute kommen und nicht der marokkanischen Besatzungsmacht, die mit der Unterstützung des Königs und der marokkanischen Armee unser Territorium einnimmt und unseren Reichtum raubt." Aminatou Haidar, die prominente Menschenrechtsaktivistin der Westsahara, richtete sich heute in einem Brief an das Europäische Parlament.
09. Dezember 2013